Verband Freier Berufe diskutiert über Herausforderungen des Rechtsstaats

Zwei Ansätze, die schwer in Einklang zu bringen sind: hier das Recht auf Sicherheit und damit die Pflicht des Rechtsstaates entsprechend zu handeln, dort das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger. Was ist der Mittelweg in einem Gemeinwesen, das sich mit Flüchtlingsströmen, zunehmender Terrorgefahr und den Verheißungen und Gefahren der digitalen Welt konfrontiert sieht? Diese Frage stellte der Verband Freier Berufe in Bayern als Sachwalter von Bürgerrechten und Bürgerinteressen anlässlich seines parlamentarischen Abends zum Thema Herausforderungen des Rechtsstaats an Politik und Justiz.

Für den bayerischen Staatsminister des Innern, für Bau und Verkehr, MdL Joachim Herrmann (CSU), muss ein funktionierender Rechtsstaat das Recht der Bürger auf Sicherheit gewährleisten können. In seinem Impulsreferat hatte der Innenminister vor Landtagsabgeordneten und Angehörigen der Freien Berufe mit Terror, Cyber-Kriminalität und der Bewältigung der Flüchtlingskrise drei Herausforderungen des Rechtsstaats genannt und festgestellt, dass der Bürger hier zunehmend Sicherheitsgefahren ausgesetzt sei. Zur Bekämpfung grenzüberscheitender Kriminalität forderte Herrmann einen besseren Informationsaustausch der Ermittlungsbehörden und auf nationaler Ebene eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei.

In der Diskussion forderte der Innenminister auch ein digitales Aufrüsten, um technologisch gesehen auf Augenhöhe zu sein. Es dürfe keinen rechtsfreien Raum im Internet geben, so Hermann, zumal er Millionen-, ja Milliardenschäden durch Cyber-Kriminalität fürchtet, die nicht nur ganze Firmen lahmlegen, sondern die Infrastruktur und damit die Lebensfähigkeit eines ganzen Landes gefährden könnte. „Wir brauchen in vielerlei Hinsicht einen schlanken Staat, aber dort, wo die Sicherheit gefährdet ist, brauchen wir einen starken Staat“, so der Innenminister.

Für die Bundesjustizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stellen Freiheit und Sicherheit keine Gegensätze dar. Als „Liberale“ habe sie eine andere Sichtweise auf das staatliche Gewaltmonopol als der bayerische Innenminister, der zuvor Kritik geübt hatte an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz. Das BVerfG hat verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Befugnisse der Behörde zur heimlichen Überwachung und sieht dies als unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Bürger. Die FDP-Frontfrau begrüßte die zahlreichen Vorgaben des Gerichts zur Nachbesserung, denn: „Jede Sicherheitsmaßnahme führt zwangsläufig zu Einschränkungen der Freiheitsentfaltung.“ In einem materiellen Rechtsstaat werde deshalb um jede Frage gerungen. Dabei räumte sie ein, dass dies nicht immer leicht sei für die Sicherheitsbehörden. Aber wie reagiere man mit den Maßnahmen eines Rechtsstaats auf NSU und NSA? „Hier haben wir klare Defizite und nichtfunktionierende Kontrolle erlebt“, so Leutheusser-Schnarrenberger.

Für Peter Küspert, Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, bedarf es der Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe seiner Daten auch selbst zu bestimmen. Seit 30 Jahren gebe es in Deutschland ein austariertes System mit 25 verschiedenen Abstufungen und Regeln – von der Schleierfahndung bis zur Arbeit des Datenschutzbeauftragten. Letzterer sähe sich heute eher mit kleineren Verstößen konfrontiert. Küspert verwies allerdings auf die „eigentümliche Diskrepanz“ im Datenschutzrecht zwischen Deutschland und dem, was auf internationaler Ebene passiere. Für Peter Küspert ist das Gewaltmonopol des Staates ernst zu nehmen. Wenn der Staat teilweise die Kontrolle verliert, wie das in der Silvesternacht in Köln passiert sei, führe das zu einer tiefen Verunsicherung des Bürgers.

Dem Münchner Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel bereitet nicht nur die zunehmende Cyber-Kriminalität Kopfzerbrechen. Auch im Bereich der Migration betrachtet er die illegale Einreise im Zuge der Flüchtlingsströme – zum Teil ist von weit mehr als 65.000 nichterfassten Flüchtlingen die Rede – mit Sorge, zumal als einziges Mittel die Schleierfahndung greife. Zum Teil hätten bis zu 350 Schleuser bei kleineren Staatsanwaltschaften in U-Haft gesessen. Zuvor hatte Innenminister Herrmann die Nichteinhaltung des Schengen-Abkommens mancher Teilnehmerstaaten als Kern des Problems genannt.

Welche Mechanismen sind in einer komplexer werdenden, globalisierten Welt und insbesondere im Bereich des Internets und damit der sozialen Netzwerke notwendig? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert angesichts der marktbeherrschenden Stellung von Google ein besseres Kartellrecht. Insgesamt plädierte sie für mehr Vertrauen in die Institutionen des Staates. Radikalisierung und Polarisierung müsse man mit den Mitteln des Rechtsstaats begegnen. Joachim Herrmann will eine bessere Ausstattung für Polizei und Justiz. „Zur Digitalisierung Bayerns gehört auch die Digitalisierung der Justiz“.

In der von Dr. Thomas Kuhn, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer München, moderierten Diskussion kristallisierte sich heraus, wo es im Umgang mit digitalen Medien (Suchmaschinen) bzw. sozialen Netzwerken hapert: an Medienkompetenz. Einen Lösungsansatz stellte Dr. Fritz Kempter, Präsident des Verbands Freier Berufe in Bayern, mit dem Medienführerschein vor. Seit die Bayerische Staatsregierung diese Offensive angestoßen habe, hätte man 170.000 Medienführerscheine an den bayerischen Schulen erteilt. Dr. Kempter ist stv. Vorsitzender des Medienrats der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und für die Freien Berufe im Stiftungskuratorium der Stiftung Medienpädagogik.

Eine Aufgabe der Freien Berufe ist es, für den Ausgleich von Rechten und Pflichten im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern einzutreten. „Wenn es um die Gefährdung des Rechtsstaats geht, wenn Persönlichkeitsrechte eingeschränkt werden sollen, um angesichts terroristischer Bedrohungen Sicherheit zu gewährleisten, und wenn die digitale Wirtschaft immer mehr persönliche Daten ihrer Konsumenten abgreift und verarbeitet, dann müssen sich die Freien Berufe in die gesamtgesellschaftliche Diskussion einbringen“, so Dr. Fritz Kempter.

Für Rückfragen: Geschäftsstelle des VFB, Tel. 089/272 34 24