„Wir sind keine Verkäufer, wir sind Versorger!“

VFB-Präsident Michael Schwarz warb mit seinem Präsidium in Brüssel für den Erhalt der freiberuflichen Selbstverwaltung und Strukturen der Gesundheitsberufe.

Es herrschen unruhige Zeiten für die Freien Berufe – und damit auch für die Zahnärzte. In Brüssel wird dem grenzüberschreitenden Wettbewerb im Binnenmarkt gehuldigt – alles, was dem entgegensteht, soll geopfert werden. Freie Berufe und deren Selbstverwaltungen stehen auf dem Index. Immer wieder versucht die EU-Kommission den Gesundheitsbereich anderen Bereichen gleichzumachen. Wer neue Anläufe nicht frühzeitig erkennt und reagiert, verliert das Rennen. Das könnte dramatische Auswirkungen auch für die Zahnarztpraxen haben.

Die Freien Berufe stemmen sich gegen Deregulierungstrends aus Brüssel. Der Verband Freier Berufe in Bayern (VFB) hat sich im Juni aufgemacht, um in Brüssel die freiberufliche Selbstverwaltung zu verteidigen und damit auch das hohe Gut (Zahn)Gesundheit in ihrer heutigen Form in Deutschland. An der Spitze der Delegation der oberbayerische Zahnarzt Michael Schwarz, der seit 2016 Präsident des VFB ist und langjähriger Präsident der BLZK war.

Herr Schwarz, Sie waren mit Ihrem Vorstand Anfang Juni in Brüssel. Was war bzw. ist Ihr Ziel?

Wir hatten diesen Besuch lange angekündigt und wir haben uns als Botschafter der Freien Berufe verstanden. Wir wollten die Idee und die Philosophie der Freien Berufe nach Brüssel tragen, aber keinesfalls die EU-Mitgliedstaaten belehren. Hinter der Brüsseler Bürokratie stehen viele einzelne Menschen, die durchaus zugänglich sind für unsere Belange hier in Deutschland. Das Ziel ist klar: Wir möchten Europa davon überzeugen, wie fatal es wäre, die freiberufliche Selbstverwaltung zu zerschlagen. Die Berufsausübung der Freien Berufe wird in hohem Maße durch die berufsständische Selbstverwaltung unterstützt, die wiederum durch ihre Aufgaben den Staat – und damit die Gesellschaft – auch finanziell entlastet. Der rein ökonomisch ausgerichtete Blick der Kommission auf berufliche Regulierung droht aus Sicht des VFB wesentliche Aspekte, wie beispielsweise den Verbraucherschutz, in den Hintergrund zu drängen.

Waren Sie erfolgreich?

Ich persönlich bin mit gemischten Gefühlen aus Brüssel zurückgekehrt. Auf der einen Seite ist nach wie vor wenig europäisches Verständnis für die Belange der Freien Berufe erkennbar, auf der anderen Seite haben wir besonders den Kontakt zum Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) gesucht, um unsere Arbeit in Brüssel zu fokussieren. Ich sehe für die Zukunft durchaus neue Einfluss- und Mitwirkungsmöglichkeiten über den EWSA. Europakenner bestätigen, dass die Freien Berufe von den anderen EU-Mitgliedstaaten wesentlich positiver als noch vor einem Jahrzehnt wahrgenommen werden. Das konzertierte Auftreten von Handwerk, Gewerkschaften und Freien Berufen hat zu einer gemeinsamen Front beim Dienstleistungspaket geführt. Die befürchteten Horrorszenarien – insbesondere für die Heilberufe – sind nicht eingetreten…

…was meinen Sie mit Horrorszenarien?

Die EU-Kommission hat zum wiederholten Mal versucht, den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie auf die Gesundheitsberufe auszudehnen, sprich: die Verhältnismäßigkeit neuen Berufsrechts zukünftig zu überprüfen und damit in nationales Recht einzugreifen mit dem Ziel zu verhindern, dass durch neues Berufsrecht Hürden für das Wirtschaftswachstum aufgebaut werden.

Also die EU-weite Gleichbehandlung der Gesundheitsberufe mit anderen Berufsgruppen?

Genau! Und darin liegt für die regulierten Gesundheitsberufe – also Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychotherapeuten – die Crux. Wir Freien Berufe haben den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission aufgrund dieses stark ökonomischen Ansatzes sehr kritisch gesehen und uns deshalb für eine Ausnahmeregelung eingesetzt. Sie wissen ja, als Zahnarzt ist mir meine Berufsgruppe natürlich sehr nah und ich freue mich, dass die Vertretung der deutschen Zahnärzteschaft ebenfalls massiven Widerstand geleistet hat. Die nationalen und europäischen (Dach-)Verbände der Gesundheitsberufe haben sich geschlossen für eine Ausnahmeregelung eingesetzt. Dieses geschlossene Auftreten hat letztlich dazu geführt, dass es im Europäischen Parlament und im Rat eine Mehrheit für diese Ausnahmeregelung gegeben hat.

Wie sieht die Ausnahmeregelung aus?

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird künftig auch für die Gesundheitsberufe gelten. Aber es ist uns gelungen, die Gesundheitsberufe besonders herauszuheben. Dank des konzertierten Widerstands, insbesondere aus Deutschland, behalten die Gesundheitsberufe ihre Sonderrolle. Das ist ein Erfolg, denn es kann nicht sein, dass die Gesundheitsberufe sich in einem europäischen Markt nicht mehr vom Straßenbau unterscheiden. Das Patientenwohl, die Gesundheit der Bevölkerung und die Versorgungssicherheit können nicht Wettbewerb und ökonomischen Gesichtspunkten untergeordnet werden. Qualität muss auch weiterhin – gerade wenn es um die Gesundheit geht – vor dem Preis stehen. Wir Freien Berufe und wir Angehörige der Gesundheitsberufe sind keine Verkäufer, sondern Versorger. 

Sie sind als Zahnarzt nicht nur Präsident der Freien Berufe in Bayern, sondern auch Referent für die Freien Berufe und Europa in der BLZK und können den Einfluss der Europäischen Kommission auf die Mitgliedstaaten sicher beurteilen. Wie wichtig ist es, dass man hier frühzeitig über Vorhaben informiert ist?

Wer heute als Selbstverwaltung oder auch als Verband Europa ausblendet, hat keine Chance mehr, Einfluss zu nehmen. Das hat dieser Richtlinienentwurf der EU-Kommission gezeigt. Brüssel will in viele Bereiche eingreifen, die momentan noch nationales Recht darstellen. Wir müssen auch weiter für den Erhalt der Selbstverwaltung kämpfen, sonst werden wir fremdbestimmt! Das ist für unser Gesundheitssystem wichtig, das ist für das Arzt-Patienten-Verhältnis wichtig und es ist für die Gesundheitsberufe wichtig.

Wie sieht man die Freien Berufe in Brüssel?

Leider werden die Strukturen der Freien Berufe weiterhin kritisch hinterfragt, man unterstellt uns, wir würden Schutzmauern errichten. Das liegt wohl auch daran, dass der deutsche Markt ökonomisch äußerst attraktiv ist und wir mit Argusaugen beobachtet werden, ob wir Zugangsbarrieren haben. Dass das Modell der Freien Berufe eine hohe Qualität im Bereich der regulierten Berufe bietet und das Selbstverwaltungsmodell den Staat finanziell und bürokratisch entlastet, ist – noch – nicht angekommen und daran gilt es zu arbeiten. Auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass ein deutscher Zahnarzt erst zwei Jahre als angestellter Zahnarzt in einer Vertragszahnarztpraxis arbeiten muss, ehe er seine Kassenzulassung für die Gesetzliche Krankenversicherung erhält. Nach der Berufsanerkennungsrichtlinie ist es aber so, dass der ausländische Zahnarzt mit seiner Anerkennung auch die Zulassung erhält. Auch dies ist eine Ungleichbehandlung, Inländerdiskriminierung genannt!

Anderes Thema, das derzeit insbesondere die Zahnärzte umtreibt: Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die es ja auch hier in Oberbayern gibt. Drohen künftig Kaffeeröster als Fremdkapitalgeber?

Das ist zwar eine sehr provokante Frage, aber nicht von der Hand zu weisen, wenn das Fremdkapitalverbot abgeschafft wird. Der Einfluss von Fremdkapitalgebern wirkt sich sicher nicht positiv auf die ärztliche und zahnärztliche Berufsausübung aus. Bei uns in Oberbayern scheint die Welt relativ in Ordnung zu sein. Es gibt noch überwiegend Einzelpraxen und die zahnmedizinische Versorgung des Bezirks scheint stabil. Leider schlägt sich auch hier der bundesweite Trend durch: Etwa 41 Prozent der Zahnärzte mit Kassenzulassung sind älter als 55 Jahre. Praxisinhaber finden kaum Nachfolger. Hier arbeitet die Bayerische Landeszahnärztekammer an Konzepten, um die Niederlassung in eigener Praxis für Berufseinsteiger interessant zu machen – eben auch auf dem Land!

 

Herr Schwarz, vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview.

Das Interview führte Anita Wuttke und ist erschienen in der September-Ausgabe „Der Bezirksverband“ des Zahnärztlichen Bezirksverbandes Oberbayern