Interview des Institutes für Freie Berufe (IFB) mit VFB-Präsident Schwarz zur Situation der Freien Berufe nach einem Jahr in der Corona-Krise:
Sehr geehrter Herr Schwarz, ein Jahr Corona-Pandemie – die schwere Krise besteht fort. Auch die Freien Berufe waren davon betroffen. Sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie für die Freien Berufe heute noch die gleichen wie vor einem Jahr oder sind es andere Probleme, die heute im Fokus stehen?
Die Freien Berufe sind vielfältig, so verschieden sind auch die einzelnen Probleme, die differenziert betrachtet werden müssen. Dies zeigt einmal mehr eine kürzlich vom Bundesverband der Freien Berufe (BFB) veröffentlichte repräsentative Umfrage des IFB zu den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und abschließenden Bilanz des Corona-Jahres 2020: Die Lage bleibt bei Teilen der Freien Berufe, wie Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern, weiter angespannt. Für jeden zehnten Freiberufler ist der bisher entstandene wirtschaftliche Schaden existenzbedrohend. Andere Teile der Freiberufler arbeiten an der Grenze des Möglichen, um die Folgen der Pandemie abzuwehren. Doch je länger das Fortbestehen der Krise andauert, umso fragiler wird die Marktlage auch derer, die gut oder eben noch gut durch die Krise kommen. Es drohen mögliche Insolvenzen der Auftraggeber und Auftragsrückgänge, wobei angesparte Rücklagen bzw. die Altersvorsorge aufgebraucht werden. Hinzu kommt ein Anstieg bei den Mitarbeiter-Fehlzeiten. So verzeichnet jeder Dritte höhere Fehlzeiten im Team. Rund jeder zehnte Freiberufler war 2020 gezwungen, Stellen abzubauen. Weitere 200.000 Stellen sind bedroht. Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels ein erschütterndes Zukunftsbild.
Die angeschlagenen Unternehmen der Freien Berufe sind inzwischen mehr als zermürbt, durch die unzureichenden strategischen Maßnahmen der politischen Entscheidungsträger und die weitere Zunahme an Bürokratie, die auch und gerade die Pandemiebekämpfung in unterschiedlichsten Ebenen zusätzlich stark erschwert.
Zu der BFB-Umfrage: https://www.freie-berufe.de/pressemitteilungen/prof-dr-ewer-situation-bleibt-kritisch-perspektiven-dringender-denn-je-benoetigt/
2020 wurden bereits verschiedene Notmaßnahmen getroffen, um die Folgen der Corona-Pandemie für die Wirtschaft und auch die Freien Berufe einzudämmen. Welche Maßnahmen erwarten die Freien Berufe von der Politik in diesem Jahr?
Erwartet wird, dass die Politik endlich die Kompetenz der Freien Berufe in die Entscheidungen zu strategischen Handlungsoptionen einbezieht, insbesondere die Freien Heilberufe, die sich mit der Bekämpfung von Infektionserkrankungen seit Jahrzehnten bestens auskennen. Nicht nur Infektiologen, Virologen und Kliniker sollten hier an erster Stelle stehen, sondern niedergelassene, selbstständige Praktiker mit Erfahrung aus dem täglichen Behandlungsalltag.
Erwartet wird weiter, dass die ins europäische Ausland verlagerte Arzneimittelherstellung nach Europa zurückgeholt wird, um zukünftige Versorgungsdefizite bei gängigen Arzneien zu vermeiden. Ein besonderer Dank gilt unseren Apothekern, die im letzten Jahr vielfach den Unmut der Verbraucher auffangen mussten und dennoch alles Mögliche unternommen haben, um das benötigte Präparat bzw. einen adäquaten Ersatz aufzutreiben.
Offizielle Stellen werden zwar nicht müde, zu erklären, dass die Arzneimittelversorgung in Europa durch die Corona-Epidemie nicht – zusätzlich – gefährdet wird. Allerdings weiß man aus der Datenbank des Europäischen Direktorats für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) von mindestens zehn Produktionsstandorten in Wuhan, wo sehr gängige Arzneimittel hergestellt werden, die wir für die Behandlung von Volkskrankheiten benötigen.
Deshalb muss die Gesellschaft umdenken, was in der Arzneimittelversorgung prioritär ist: Versorgungssicherheit oder ein paar Cent einsparen
Weiter brauchen wir unbedingt, sichere Planbarkeit, weitere Liquidität und einen konsequenten Bürokratieabbau. Zu den Stabilisierungsimpulsen gehört es auch, dass öffentliche Investitionen nicht stocken dürfen und die öffentliche Verwaltung ihre Dienstleistungsfunktion verbessern muss.
Hinweisen möchte ich unbedingt noch auf folgende Problematik, die bei der Pandemiebekämpfung nicht berücksichtigt wird: Das Arbeiten im Homeoffice führt zwar zu einem geringeren Infektionsgeschehen, macht es unseren Freiberuflerbüros aber unmöglich, Schüler-Praktika anzubieten, um für unsere Freien Berufe wie auch deren Assistenzberufe zu werben und den Schülern Orientierungsmöglichkeiten für ihre spätere Berufswahl geben. Diese Praktika können nach meiner Kenntnis schon jetzt leider nicht mehr nachgeholt werden.
Zudem muss der Digitalisierungsprozess in unseren Berufsschulen endlich voranschreiten. Seit Jahren kritisieren wir die schlechte Ausstattung unserer Berufsschulen in personeller wie auch technischer Hinsicht. In der aktuellen Diskussion scheinen mir die Berufsschulen unterzugehen. Die Politik darf unsere junge Generation in den Freien Berufe nicht vergessen!
Was können Sie den FreiberuflerInnen im zweiten Jahr der Krise raten?
Nicht die Zuversicht verlieren! Freie Berufe sind in der Regel am besten vorbereitet und typischerweise innovativ, um auch solche Krisen, wie auch Pandemien zu meistern, wenn uns nicht nachteilige Entscheidungen von Dritten daran hindern, unsere Kompetenz zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen. Stichwort: Freie Berufe können auch Pandemie!
Was hat der Landesverband der Freien Berufe in Bayern 2020 alles unternommen, um die Situation der Freiberufler in der Corona-Krise zu verbessern?
Der Verband Freier Berufe in Bayern e.V. (VFB) ist zusammen mit seinen Mitgliedsorganisationen sozusagen zu einem Umschlagplatz für Informationen geworden. Als Dachverband hat der VFB stets versucht, die Informationen seiner Mitglieder, aber auch von Dritten (IHK, vbw) zu bündeln und weiter zu verbreiten. Die Zusammenarbeit mit dem BFB ist dabei besonders intensiviert worden. Das VFB-Präsidium hat sich schon ziemlich früh zusammen mit der vbw, in die Task Force-Sitzungen des Wirtschaftsministeriums eingeklinkt, die anfänglich in wöchentlichen oder auch geringerem Abstand stattfanden. Zudem haben wir zahlreiche Telefonate mit Ministerien, Landtagsabgeordneten und Parteien geführt, Stellungnahmen und eine Resolution zusammen mit den anderen Landesverbänden erstellt und uns an allen Stellen als kompetenter Partner in dieses System eingebracht. Wir waren uns aber intern einig, dass die Zukunft anders aussehen wird und auch anders aussehen muss. Deswegen haben wir ein eigenes Strukturpaket erarbeitet, an dem sich alle VFB-Mitglieder beteiligt haben. Dieses Papier ist Grundlage der Diskussionen für die nächste Zeit. Wir müssen uns zukünftig deutlich nachhaltiger aufstellen und uns deutlich mehr Gedanken darüber machen, wie mit unseren Ressourcen in der Zukunft umgegangen wird und wir verhindern können, dass solche Pandemien uns so umfassend aus der Bahn werfen, und zwar weltweit. Daran sollten sich auch die Freien Berufe im Kleinen beteiligen. Ziel ist es, die Kompetenz der Freien Berufe noch deutlicher in die Politik einzubringen und der Politik deutlich zu machen, dass die Freien Berufe in der Lage sind, noch wesentlich mehr Informationen und Kompetenzen in fachlicher Hinsicht zu Entscheidungen beizusteuern.
Zudem hat der VFB Mitgliedsumfragen erstellt und mit einzelnen Verbänden gesprochen, um die Situation in den einzelnen Berufsgruppen zu eruieren. Im Hintergrund arbeitete hierzu das Institut der Freien Berufe in Nürnberg (IFB) als größter Informations- und Zahlenpool. Die starke Betroffenheit einzelner Berufsgruppen hat tief betroffen gemacht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine zweite Welle der Pandemie im Winterhalbjahr durchaus zu erkennen gewesen ist. Die einzelnen Verbände haben sich besser darauf eingestellt als der eine oder andere politische Entscheidungsträger oder das eine oder andere politische Gremium, Stichwort Novemberhilfe. Die Politik hat in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen, die dann letztlich auf den Goodwill einzelner Berufsgruppen angewiesen sind. Beispielsweise funktioniert die Auszahlung von finanziellen Corona-Hilfen derzeit nur, weil Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte dabei essentiell mitwirken.