VFB Interview Reihe
Da Herr Stephan Pilsinger, CSU, MdB, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit, leider aus zeitlichen Gründen nicht zu einem persönlichen Interview kommen kann, hat er uns seine Positionen schriftlich mitgeteilt.
1. Werden Sie die Stellung der Freien Heilberufe und das System der beruflichen Selbstverwaltung erhalten und fördern? Unterstützen Sie die Bestrebungen der bisher nicht verkammerten Freien Berufe nach einer stärkeren Selbstverwaltung?
Die Freien Heilberufe und das System der beruflichen Selbstverwaltung sind das Fundament unserer erstklassigen Gesundheitsversorgung in Deutschland, um das wir - trotz aller Defizite in der Finanzierung - beneidet werden. Dass ein staatlich gelenktes Gesundheitssystem nicht funktionieren kann, sehen wir u.a. in England und überall da, wo linke Ideologie den Freien Heilberufen die Luft abschnürt. Das hat Rot-Grün nie verstanden. Insofern werde ich mich persönlich und innerhalb der Unionsfraktion immer für die Stärkung der Freiberuflichkeit und der ärztlichen Selbstverwaltung einsetzen. Der jetzt von der Bundesärztekammer und vom PKV-Verband ausgearbeitete Entwurf einer GOÄ-Novelle ist übrigens ein wichtiger Test, um beweisen zu können, dass Selbstverwaltung funktioniert. Wenn die Ärzteschaft da jetzt nicht an einem Strang zieht, lacht nur einer: Genosse Lauterbach…
2. Krankenhausbedarfsplanung und Neuordnung der Finanzierung ambulant/stationäre medizinische Versorgung – wie soll es hier nach Ihrer Auffassung weitergehen?
Nachdem das KHVVG nun als eines von wenigen relevanten Reformen im Bereich der Gesundheitspolitik der einstigen Ampel durch den Bundesrat durch ist, ist klar, dass wir als Union im Falle einer erneuten Regierungsbeteiligung, von der ich stark ausgehe, sehr schnell noch einmal an dieses Gesetz ranmüssen. Wir als Union waren und sind nicht gegen eine Krankenhausreform an sich - die ist in der Tat dringend notwendig! Wir müssen aber ein paar entscheidende Parameter dieses Gesetzes ändern, damit sich die Versorgung im ländlichen Raum nicht verschlechtert, die Qualität der Behandlungen nicht leidet und damit es zu keiner kalten Strukturbereinigung in der deutschen Krankenhauslandschaft kommt. Dazu gehören realistische Qualitäts- und Strukturvorgaben zur Zuweisung der Leistungsgruppen, eine fallzahlunabhängige Vorhaltevergütung und ein Transformationsfonds, mit dem nicht nur die Beitragszahler zusätzlich belastet werden. Außerdem müssen wir darauf achten, dass mit den sog. "sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen" keine Doppelstrukturen in der ambulanten Versorgung entstehen, die den niedergelassenen Praxen in ländlich geprägten Regionen Konkurrenz machen und die die niedergelassene, freie Ärzteschaft durch angestellte Ärzte verdrängen. Diese Strategie traue ich Lauterbach im Hintergrund durch aus zu...
3. Die flächendeckende Versorgung im ambulanten Bereich bezüglich Apotheken, Arzt- und Zahnarztpraxen ist akut gefährdet. Was wollen Sie konkret für die Sicherung und Stärkung der ambulanten flächendeckenden Versorgung und Förderung der Freiberuflichkeit in der Selbständigkeit tun?
Was die ambulante Versorgung angeht, müssen wir als eine der ersten gesundheitspolitischen Maßnahmen die vollständige Entbudgetierung der Hausärzte vornehmen. Das bleibt jetzt wegen der Ampel-Implosion ja leider auf der Strecke. Als Nächstes sollten wir eine für die Kassen obligate Bonifizierung der schon bestehenden hausarztzentrierten Versorgung vornehmen. Das heißt, alle Kassen müssen ihren Versicherten einen etwas günstigeren Tarif anbieten, bei dem sie – mit Ausnahmen z.B. von Gynökologen, Augenärzten oder Orthopäden – zwingend zuerst ihren Hausarzt aufsuchen müssen, bevor sie sich an einen Facharzt wenden. Wer das nicht möchte und sich wie heute frei im System bewegen will, kann das tun. Er zahlt dann halt einen höheren Tarif. Damit steuern wir die Patienten viel besser durch das komplexe Gesundheitssystem und sparen monatlich Millionenbeträge, indem so z.B. unnötige Doppeluntersuchungen vermieden werden. Stärken müssen wir auch unsere inhabergeführten Apotheken, indem wir eine Apothekenreform in Angriff nehmen, die diesen Namen auch verdient. So muss vor allem das Apotheken-Fixum spürbar angehoben und flexibel an die Inflationsentwicklung angepasst werden. Ich spreche mich ja ganz offen für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten aus; schon mal deshalb, weil Versandhandelsketten immer wieder die dringend notwendigen und vorgeschriebenen Kühlketten nicht einhalten. Handel auf Kosten der Gesundheit ist einfach verwerflich und muss beendet werden! Den Zahnärzten muss auf Ebene der Gesetzgebung, aber auch auf Ebene der Selbstverwaltung mehr Freiraum bei der gewählten Behandlung gegeben werden. Da spielen die Krankenkassen nicht immer eine förderliche Rolle. Und wir brauchen auch bei in der Zahnheilkunde eine Entbudgetierung, um länger andauernde Behandlungen, wie z.B. die relativ neuartige Paradontitis-Behandlung für alle Patienten zu ermöglichen.
4. Bedrohung der freiberuflichen Organisationsstruktur der ambulanten Versorgung durch iMVZ und gewerbliche Anbieter telemedizinischer Versorgung: Werden Sie die, von Herrn Lauterbach bereits seit 2022 versprochenen, möglichen Beschränkungen der investorenfinanzierten MVZ´s umsetzen?
Eines vorneweg: Ich bin nicht per se gegen Medizinische Versorgungszentren. Sie können eine gute Ergänzung in der ambulanten Versorgung in unterversorgten Gebieten sein. Ich bin aber ganz klar gegen die faktisch bestehenden Wettbewerbsvorteile insbesondere von investorengesteuerten MVZ. Es kann und darf nicht sein, dass teils dubiose, im Ausland sitzende Investoren das Geld aus dem deutschen Gesundheitssystem heraussaugen, während sich unsere niedergelassenen Ärzte – zurecht – an die Regulierung im deutschen Gesundheitswesen halten müssen. Wenn in einem iMVZ angestellte Ärzte von nicht-ärztlichen Investoren dazu gedrängt werden, unnötige, evtl. sogar kontraproduktive Untersuchungen und Behandlungen vorzunehmen, nur damit die MVZ-Kasse klingelt, dann muss der Statt dringend regulierend eingreifen. Hierzu hatte ich bereits einen Antrag für die Unionsfraktion erarbeitet, der einige sehr konkrete Vorschläge zur Eindämmung solcher und anderer Praktiken beinhaltet. Wegen des Ampel-Aus kann ich ihn nun nicht mehr einbringen. In der neuen Wahlperiode werde ich ihn aber wieder herausholen, um im Falle einer Regierungsbeteiligung möglichst einen Gesetzentwurf daraus zu formen.
5.1 Was wollen Sie dafür tun, dass Deutschland für Arbeitnehmer attraktiv bleibt, um den Personalmangel aufzuhalten und damit die Gefährdung der gesamten deutschen Wirtschaft?
Wir müssen vor allem runter von den hohen Sozialabgaben hierzulande. Mittlerweile sind es schon mehr als 40 Prozent des Einkommens, die die Leute in Deutschland für ihre soziale Absicherung abdrücken müssen. Und das bei steigenden Mieten, steigenden Lebensmittelpreisen, steigenden Energie- und Stromkosten etc. … Die Leute haben allmählich die Schnauze voll davon, mehr und mehr abgemolken zu werden – wenn ich das mal so deutlich sagen darf. Mit Friedrich Merz an der Spitze werden wir Deutschland auch für ausländische Arbeitnehmer wieder attraktiv machen. Unsere Vorschläge an dieser Stelle aufzuführen, würde jetzt den Rahmen des Interviews sprengen. Erwähnen möchte ich hier nur die dringend notwendige Reform der GKV- und der SPV-Finanzen, die wir als Union angehen werden, auch wenn das ein harter Brocken wird. Hierzu haben wir aber konkrete Vorschläge in der Schublade.
5.2. Welche echten Strukturreformen können umgesetzt werden, um das Praxissterben durch Budgets in der gesetzlichen Krankenversicherung und GOZ-Punktwert von 1988 aufzuhalten?
Die überfällige Entbudgetierung bei den Hausärzten und die obligate Bonifizierung der hausarztzentrierten Versorgung habe ich oben ja schon aufgeführt. Was die darüber hinaus gehende Entbudgetierung der Fachärzte angeht, sollten wir mit Blick auf die desolate Lage des Gesundheitsfonds differenzieren: So halte ich diese Maßnahme bei Fachärzten in unterversorgten oder drohend unterversorgten Regionen für sinnvoll, auch um Anreize zur Niederlassung in kleineren Städten und Gemeinden zu setzen. Die Gießkanne für alle Fachärzte können wir uns im Moment leider einfach nicht leisten.
5.3. Was wollen Sie konkret für die Entbürokratisierung der Arzt-& ZA-Praxen tun, damit diese wieder mehr Zeit für Ihre Patienten haben (bei 24 H / Woche der Teams Zeit für Bürokratie)?
Die Bürokratielast ist sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor einfach immer noch viel zu groß. Wenn ich als Arzt die Hälfte meiner Arbeitszeit am Klemmbrett oder am PC verbringe statt am Patienten, dann läuft etwas ganz gewaltig schief. Hier muss auch mal die Selbstverwaltung in sich gehen, was wirklich sinnvoll ist und was nicht. Helfen kann dabei die Praxis-IT, vor allem auch zur Entlastung der MFAs. Wenn nur schon mal das Terminmanagement digitalisiert ist, fällt am Praxis-Tresen schon eine Menge Arbeit weg. Wichtig ist bei dem Thema, dass ein PVS-Wechsel ohne größere technische Probleme vonstattengehen können muss. Das muss vonseiten des Gesetzgebers reguliert werden.
6. Welche Maßnahmen sind nötig, um für die Zukunft Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Medikamentenengpässe zu verhindern?
Wie sich jetzt zeigt, hat das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) der Ampel leider überhaupt nichts gebracht. Apotheker telefonieren den halben Tag mit ihren Kollegen, ob sie dieses oder jenes Mittel vielleicht noch vorrätig haben, und Patienten verzweifeln am Apotheken-Tresen, weil ihr lebensnotwendiges Medikament nicht mal bestellbar ist. Jeden Tag. Und das in einem Land, das einstmals als „Apotheke der Welt“ galt! Schlimm. Schon im Januar 2023 haben wir als Union einen Antrag an die Bundesregierung gestellt, um Lieferengpässe künftig zu vermeiden und um die Versorgung der Bürger mit notwendigen Medikamenten sicherzustellen. Der Antrag enthält unter anderem Forderungen nach einem Beschaffungsgipfel für lebenswichtige Arzneimittel, an dem alle zuständigen Akteure des Gesundheitssystems beteiligt werden sollten, um die Verfügbarkeit dieser Medikamente dauerhaft zu gewährleisten. Außerdem haben wir die Etablierung eines nationalen Frühwarnsystems für Lieferengpässe vorgeschlagen und zur Schaffung von geeigneten Voraussetzungen für die Produktion wichtiger Medikamente in Europa aufgerufen. Leider vergeblich: Der Antrag wurde von der Ampel aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt – man wusste es mit dem ALBVVG ja viel besser; wie viel besser, wissen wir jetzt ja…
7. Digitalisierung und Datenschutz im Gesundheitswesen
Störungen und Ausfälle bei der Telematik-Infrastruktur sind an der Tagesordnung.
Was muss zur Förderung der funktionalen Digitalisierung geschehen?
Wir alle erinnern uns noch an die Probleme mit den sog. „Konnektoren“ in unseren Praxen – zum Haare raufen! Die Gematik hat dabei alles andere als ein gutes Bild abgegeben. Ich bin sowieso skeptisch, wenn der Staat meint, der beste IT-Dienstleister zu sein. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens gehört grundsätzlich in private Hände. Nur bei großen politischen Projekten wie bei der ePA sollte die Politik den Rahmen setzen – aber nicht mehr. Was die Förderung der Digitalisierung in den Arztpraxen angeht, schwebt mir so etwas wie ein „Praxiszukunftsgesetz“ – analog zum „Krankenhauszukunftsgesetz“ vor, mit dem wir noch unter Gesundheitsminister Spahn dreistellige Millionenbeträge zur Verfügung gestellt haben, um Kliniken voll durch zu digitalisieren. So einen Fördertopf müssten wir auch für unsere Praxen zur Verfügung stellen. Ich glaube, dann wäre „digital“ in den kleinsten Praxen bald kein Fremdwort mehr und würde Ärzte, MFAs und Patienten nur helfen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Pilsinger
CSU, MdB, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit