VFB in Brüssel – Bayerisches Plädoyer für freiberufliche Werte

Podium und Präsidium

Zu einem informativen Austausch rund um das Thema Fremdbesitzverbot und freiberufliche Werte im stetigen Wandel der Gesellschaft hatte der Verband Freier Berufe in Bayern (VFB) zusammen mit der Vertretung des Freistaats Bayern nach Brüssel eingeladen und damit einen Volltreffer gelandet. Das Interesse an diesem Thema war groß und so freute sich VFB Präsident Dr. Thomas Kuhn bereits im Vorfeld über die große Resonanz aus den Reihen der Vertreter der europäischen Institutionen.

Dr. Thomas Kuhn VFB-Präsident
Dr. Thomas Kuhn VFB-Präsident

Nach Begrüßung durch den Leiter der Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union, Michael Hinterdobler, führte VFB-Präsident Dr. Kuhn ins Thema ein:

Die Freien Berufe erbringen höchstpersönliche Dienstleistung für wichtige höchstpersönliche Werte, etwa Gesundheit, gesundes Wohnen, Sicherheit von Bauwerken, persönliche Rechtsfragen oder auch im Umgang mit der Staatsgewalt, insbesondere im Steuer-, Straf-, und Verwaltungsrecht. Diese Dienstleistungen müssen wegen ihres höchstpersönlichen Charakters staatsfern organisiert sein und erhalten die notwendige öffentlich-rechtliche Aufsicht durch die ihrerseits staatsfern organisierten Kammern. Zur Qualitätssicherung gibt es verbindliche Aus- und Fortbildungsstandards sowie ein strenges autonomes Berufsrecht.

Die Berufsausübung fördert immer auch Gemeinwohlinteressen, denn Gesundheitsfürsorge, Sicherheit von Bauwerken, Rechtswesen, Kunst, Städtebau und die Steuerrechtspflege sind wichtige Gemeingüter. Die Gemeinwohlorientierung tritt insbesondere zu Tage bei Notdiensten, Bereitschaftszeiten, in der Beratungshilfe oder der Pflichtverteidigung. Die Freien Berufe müssen ortsnah verfügbar sein und setzen eine Mischfinanzierung voraus, durch die besonders aufwändige Leistungen für den Bürger bezahlbar bleiben, weil sie vom gros der Alltagsdienstleistungen preislich gestützt werden können. Dieses Konzept hat sich in der Corona-Pandemie bewährt. Die kleinteiligen Strukturen gewährten eine stabile Versorgung auch beim zeitweisen Ausfall einzelner Praxen, Kanzleien oder Apotheken. Die inhabergeführten Unternehmungen waren kreativ und innovativ, vom Patientenmanagement in der Praxis bis zur Herstellung von Desinfektionsmitteln in den Apotheken.

Dennoch ist das System unter Druck. Stetig steigender Verwaltungsaufwand begünstigt Industrie und große Einheiten, da diese etwa einen Datenschutz- oder Geldwäschebeauftragten leichter vorhalten und fachlich spezialisieren können, als eine kleine Einheit. Auch die Vorleistungen für die Teilnahme an Ausschreibungen können von größeren Unternehmen leichter getragen werden. Große Einheiten werden auch von technischer Innovation begünstigt, da beispielsweise die Kosten für Anschaffung, Unterhalt und Schulungen eines sog. BIM-Systems, eines Systems zur umfassenden digitalen Darstellung aller planungsrelevanten Daten eines Bauprojekts, immens sind und sich nur bei entsprechender Umsatzgröße darstellen lassen. Schließlich verstärkt der Staat kontinuierlich seine eigene Verwaltung zum Nachteil des verfügbaren Arbeitsmarkts und bewirbt die Industrie eine Konzentrierung, etwa durch Planen und Bauen aus einer Hand, und schafft so eigene Synergien.

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass Kapitalbedarf und Mindestgröße der Organisationsform zu Lasten der gegebenen resilienten kleinteiligen Strukturen steigen. Dieser Kapitalbedarf darf aber nicht dadurch gedeckt werden, dass berufsfremde Investoren gesellschaftsrechtlich mit der Führung freiberuflicher Unternehmungen betraut werden, sei es über Stimmrechte, sei es über Geschäftsführungsfunktionen.

Denn wenn sich der Erfolg der freiberuflichen Unternehmen nach der Rendite des eingesetzten Kapitals bemisst, werden diese sich auf ertragsreiche Tätigkeitsfelder konzentrieren, die Bedürfnisse des Verbrauchers aus dem Blick verlieren und die Optimierung der Vergütung in einer Art systematisch betreiben, für die das System nicht gedacht ist. Diese Zusammenhänge sind inzwischen für Ärzte vielfältig untersucht und empirisch gesichert, für den Bereich der Rechts- und Steuerberatung gibt es reichlich Fallbeispiele.

Eine größere Studie im Bereich der Zahnmedizin zeigt konkret, dass es kaum Investoren-MVZ im ländlichen Raum gibt, die Behandler in diesen einen erheblichen Umsatzdruck verspüren, im Vergleich zu klassischen Praxen erhebliche Mehrabrechnungen zu Lasten der GKV erfolgen und schließlich der Gewinn häufig nicht in Deutschland oder Europa versteuert wird.

Selbstverständlich ist für die Freien Berufe, dass sich in der heutigen Zeit jeder Beruf verändern muss und verändern wird, um sich an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Es müssen aber alle Verantwortlichen dafür Sorge tragen, dass die Rahmenbedingungen auch in der Zukunft eine verantwortungsvolle Ausübung der Berufsbilder erlauben. Hierzu zählt für die Freien Berufe auch ein gewisser Grad an Mindestregulierung, sei es bei den MVZ durch effektivere sozialrechtliche Regelungen, sei es im Gesellschaftsrecht durch Vorgaben, dass etwa nur Berufsträger Geschäftsführer sein können, oder Berufsfremde im Gesellschafterkreis keine wesentlichen Stimmrechtsanteile halten dürfen. Dem Markt alleine darf die Regulierung jedenfalls nicht übertragen werden, da dem Verbraucher die für die Wahrung seiner Interessen notwendige Marktmacht fehlt. Der Verbraucherschutz muss stets oberstes Ziel bleiben und darf nicht fremden Kapitalinteressen zum Opfer fallen.

Wenn die Kapitalrendite mein oberstes Ziel ist, verliere ich schnell den Fokus auf die Bedürfnisse des Patienten, Mandanten oder Auftraggebers
schlussfolgerte Dr. Kuhn.

Fremdbesitzverbot versus Freiheit und Eigenverantwortung

Über das Thema diskutierten im Anschluss an das Impulsreferat auf dem Podium Frau Prof. Dr. Angelika Niebler, MdEP (EVP), Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Herr Henning Ehrenstein, Referatsleiter, Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (GROW) der Europäischen Kommission, Herr Rudolf Kolbe, Stellvertretender Vorsitzender der Gruppe III Organisationen der Zivilgesellschaft des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) und Mitglied des Präsidiums und EU-Beauftragter der Bundeskonferenz der Freien Berufe Österreichs sowie Herr Michael Schick, Syndikusrechtsanwalt und Geschäftsführer des EU-Verbindungsbüros Brüssel der Bundessteuerberaterkammer.

Moderiert wurde die Diskussion von Herrn Peter Klotzki, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Freien Berufe (BFB).

Teilnehmer*innen auf dem Podium
Teilnehmer*innen auf dem Podium: v.l.n.r. Peter Klotzki, Rudolf Kolbe, Prof. Dr. Angelika Niebler, Dr. Thomas Kuhn, Henning Ehrenstein, Michael Schick

Herr Klotzki stellte die Frage an Herrn Ehrenstein nach der Wahrnehmung der Freien Berufe in der Kommission. Verhältnismäßigkeit bei Vorbehaltsaufgaben seien Stichworte, wobei in den letzten zwei Jahren nicht so viel Neues dazu gekommen sei.

Herr Ehrenstein antwortete, dass die Freien Berufe die Offenheit dafür haben müssen zu realisieren, dass sich das Berufsbild der Freien Berufe wandelt und anpassen muss. Die Kommission müsse aber das Rad nicht alle zwei Jahre neu erfinden und nicht alle zwei Jahre einen neuen regulatorischen Rahmen schaffen. Das entscheidende Instrument sei mit der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie geschaffen worden, die ein Verfahren und Kriterien niederlegt, mit dem regelmäßige Analysen des Rechtsrahmens gemacht werden. Dies sei ein flexibles Instrument. Dass die Kommission in den letzten Jahren in diesem Bereich keine neuen Rechtsakte hervorgebracht habe, sei nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen.

Herr Klotzki richtete die nächste Frage an Frau Prof Dr. Niebler, ob das auch die Grundrichtung der Parlamentsseite ist und wie hier die Wahrnehmung der Freien Berufe ist.

Frau Prof. Dr. Niebler antwortete, dass man natürlich immer wieder neu nachdenken müsse, ob der rechtliche Rahmen noch passe, zu dem was man regulieren wolle. In den letzten Jahren seien viele andere Themen auf der Tagesordnung gewesen wie die Corona-Krise, der Ukraine-Krieg, Terroranschlag der Hamas auf Israel oder die Digitalisierung, wo viele neue Regularien geschaffen wurden. Die Freien Berufe seien zum Glück in den letzten zwei Jahren weit weniger im Fokus gewesen. Bei jedem Rahmen, den man setze, gelte es zu prüfen, wie sich die Gesellschaft, die Umgebung verändert. In der Corona-Krise habe sich die Resilienz der Freien Berufe gezeigt. Es sei beachtlich gewesen, wie die Freien Berufe mit Flexibilität den Laden am Laufen gehalten haben, vor Ort waren und Dienst am Menschen und der Gesellschaft geleistet haben. Die Freien Berufe hätten den Realitätscheck und Praxistest in dieser schwierigen Zeit ausgesprochen gut bestanden. Diese Gemeinwohlorientierung sei für die Freien Berufe kennzeichnend. Deshalb gelte es, nicht leichtfertig Regelungen auf den Prüfstand zu stellen, wenn sie sich, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis so gut bewährt haben.

Herr Klotzki richtete den Blick in die Zukunft und fragte nach, ob in der nächsten Zeit Gefährdungen von neuen regulativen Bestrebungen zu erwarten sind oder ob Frau Prof. Dr. Niebler sogar einen Bedarf hierfür sieht.

Frau Prof Dr. Niebler stellte klar, sie erkenne keinen Bedarf. Als Europaabgeordnete bekomme sie viele Anfragen von Bürgern und Interessenvertretern, aber in der letzten Legislaturperiode seien wenig Beschwerden in dieser Richtung an sie herangetragen worden. Diesbezüglich habe es keinen großen Druck gegeben. In den nächsten Jahren werde allerdings die Stärkung und Weiterentwicklung des Binnenmarktes vor dem Hintergrund von Lieferschwierigkeiten und Resilienz in Europa ein Thema sein. In dem Zusammenhang werde sicher auch die Rolle der Freien Berufe beleuchtet werden.

Herr Klotzki richtete die Frage an Herrn Kolbe als Vertreter des EWSA, ob das auch seine Wahrnehmung sei und ob das seine Arbeit geprägt habe.

Herr Kolbe berichtete, dass die Freien Berufe zwar in Mitteleuropa ein bekannter Begriff seien, aber in nördlichen Mitgliedsstaaten der Freie Beruf als solcher nicht gekannt werde. Auch im EWSA seien die Freien Berufe als geschlossene Gruppe nicht bekannt und bräuchten deshalb im EWSA ein großes Sendungsbewusstsein und müssten die Werte der Freien Berufe immer wieder erklären. Das könne aber auch alles eingebracht werden, weshalb der EWSA ein großes Aufgabenfeld habe.
Auch aus der österreichischen Erfahrung könne er alles unterstreichen, was Herr Dr. Kuhn in seinem Impulsreferat gesagt habe. Für die Freien Berufe sei es wichtig, ihre Werte zu transportieren, gerade gegenüber der Kommission. Dass die Freien Berufe eine höhere Berufsethik und höheren Ausbildungsstand brauchen, liege sehr oft an der Informationsdifferenz oder Informationsgefälles des Klienten, Kunden, Patienten des einzelnen Freien Berufs. Bei einer Knieoperation müsse man sich als Patient eben darauf verlassen können, dass der Arzt ehrlich und im Patienteninteresse berät und nicht, weil er sich zufällig eine besonders teure Ausrüstung gekauft hat, die sich amortisieren muss. Hiervon zu überzeugen müsse auch gegenüber der Kommission gelingen. Er habe in der Vergangenheit immer wieder festgestellt, dass bei der Kommission das Prinzip des Freien Berufes und das Verständnis, warum es die Freien Berufe geben muss, nicht vorhanden ist.

Herr Ehrenstein erklärte, dass man sich fast am Ende des Mandats dieser Kommission befinde und es ihn insoweit überraschen würde, wenn jetzt am Ende der Legislaturperiode noch etwas kommen würde, was die Freien Berufe betrifft. Was sich jedoch schon geändert habe, sei die Tatsache, dass auch bei den Freien Berufen ein erheblicher Fachkräftemangel herrsche und dies auch einer politischen Antwort bedarf. Dieses Thema werde auch im Binnenmarktkontext zu adressieren sein. Das werde ein anstehendes neues Thema sein.

Herr Klotzki wendete sich mit dem Thema Fachkräftemangel an Herrn Schick: Dieses Problem belaste auch die Steuerberater. Die Steuerberater seien als Organ der Steuerrechtspflege anerkannt und gut ausgelastet. Was erwarte Herr Schick in dieser Situation der Überlastung von der Kommission?

Herr Schick bestätigte, dass der Berufsstand überlastet ist und wächst. Er wolle aber noch kurz auf die grundsätzliche politische Ausrichtung der Kommission eingehen. Es sei zu spüren gewesen, dass andere Prioritäten gesetzt werden seit Thierry Guyot das Binnenmarktressort innehat. Die Steuerberater würden ihre berufsrechtlichen Aspekte laufend auf Europarechtskonformität prüfen, seien offen für Veränderungen und hätten vor Jahren ihre Gebührenordnung in Gesprächen mit der Kommission angepasst. Momentan laufe noch ein Verfahren gegen die Vorbehaltsaufgaben. Man muss zugeben, dass seit 15 Jahren ein Aufbau der Berichtspflichten zu beobachten war und jetzt wird zurückgerudert. Man werde sich daran beteiligen und sinnvolle Vorschläge machen.

Herr Schick sprach die aktuelle Anfrage des Bayerischen Anwaltsgerichtshof in München (AGH) auf Vorlageentscheidung vom EuGH hinsichtlich der Einschätzung des Fremdkapitalverbots für Anwaltskanzleien an. Der AGH München habe Zweifel daran, ob eine Finanzinvestorenbeteiligung an einer Anwaltsgesellschaft verboten werden könne, wenn die Satzung der Gesellschaft die unabhängige anwaltliche Berufsausübung umfassend schützt. Nach Auffassung von Herrn Schick sei der Fall im Hinblick auf diese Verhältnismäßigkeitsprüfung konstruiert, d.h. der Fall wurde dem EuGH präsentiert, damit dieser im Rahmen der Verhältnismäßigkeit prüft, ob es ein milderes Mittel gibt um die Unabhängigkeit zu erhalten. Er hoffe, dass der EuGH dies erkennt. Und der EuGH hat nicht immer im Sinne des Klägers oder der Kommission entschieden.
Bei den Steuerberatern sei die von Herrn Kolbe angesprochene Heterogenität extrem. Den Steuerberater, wie er in Deutschland bekannt ist, als unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege, gebe es noch in Österreich und der Tschechischen Republik, aber sonst in Europa nicht. Im Hinblick auf den Berufsstand des Steuerberaters gebe es eine Entscheidung des EuGH, die besage, dass solange ein Beruf nicht harmonisiert ist, es den Mitgliedsstaaten obliegt und überlassen bleibt, das Berufsrecht zu regeln.

Herr Klotzki stellte die Frage in die Runde, wie das Phänomen des Hereindrängens von Fremdkapital und die Auswirkungen durch den Einsatz fremder Interessen gesehen wird.

Frau Prof. Dr. Niebler antwortete, dass sie dies sehr kritisch sieht. Als Politikerin sei ihr die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung auch in der Region sehr wichtig. Man müsse sich deshalb die Frage stellen, ob bei einer Öffnung für fremdes Kapital dieses Ziel gefährdet wird. Hier dürfe man ihrer Meinung nach auch nicht nur Schwarz-Weiß sehen. Hier müsse man eingehend prüfen und analysieren um nicht die falschen Impulse zu setzen.

Herr Ehrenstein ergänzte, dass sich politisch alle einig sind, dass es ein Problem darstellt, wenn die Sicherstellung der Bevölkerung mit Leistungen der Freien Berufe in der Fläche nicht sichergestellt ist. Allerdings habe man dieses Problem in den letzten Jahren erfahren müssen, obwohl eine Regulierung des Fremdkapitalverbotes existiert. Er plädiere also dafür, eine gewisse Offenheit zu haben, zu prüfen: Bedarf es eines Verbotes von Fremdkapital um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wenn wir es nicht sicherstellen konnten obwohl wir dieses Verbot haben? Oder müsse man kreativer und weiter denken? Herr Ehrenstein kritisierte außerdem die Gegenüberstellung von Kapitalbeteiligung versus Eigenverantwortung, die für ihn verständlich in dieser zugespitzten Form formuliert wurde um die Diskussion spannend zu machen. Dies stelle er in Frage, denn Zugang zu Kapital könne auch Eigenverantwortung für Jungunternehmer ermöglichen. Auch mit Aussagen, die nahelegen, dass bei einem Kapitalinvestor angestellte Freiberufler, den Dienst am Menschen einstellen, sollte man vorsichtig sein.

Herr Klotzki wendete ein, das es Konsens sei, dass die kleinteilige Struktur optimal für die Erfüllung der Daseinsvorsorge ist und das Fremdkapital dieser Kleinteiligkeit in die Quere kommt.

Herr Ehrenstein entgegnete, dass die Kommission in keinster Weise gegen KMUs sei. Nur sei eben die Frage, die man sich immer wieder stellen müsse, ob es dieser regulierenden Strukturen bedürfe um das Gemeinwohl sicherzustellen. Denn auch ein KMU brauche Kapital und wolle nötige Investitionen tätigen und nicht jeder Freiberufler wolle eigenständig arbeiten, sondern die jüngere Generation eben auch oft im Angestelltenverhältnis.

Herr Schick kritisierte, dass sich das eben Gesagte fast angehört habe, als sei die Entwicklung überhaupt nicht mehr aufzuhalten und die Regelung des Fremdkapitalverbotes ins Leere ginge. Das Fremdkapitalverbot sei aber bei vielen Freien Berufen abgesichert. Er spreche für die Steuerberater und die Rechtsanwälte. Der Steuerberater sei ein unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege. Dies stehe so im Gesetz, nicht nur in der Berufsordnung. In dieser Formulierung sei sehr viel enthalten: die Unabhängigkeit werde durch das Fremdbesitzverbot abgesichert. Hier gehe es um Verbraucherschutz, um bestmögliche Beratung im Interesse des Mandanten. Beispielsweise liege es auf der Hand, dass, wenn man zulasse, das ein Fondsanbieter oder ein Versicherungsunternehmen bei einer Steuerberatungsgesellschaft einsteigt, der Steuerberater dem Mandanten, der ein Anlageprodukt sucht, zu dem Anlageprodukt dieser Fondsanbieter oder Versicherung raten wird. Genau diese Einflussnahme würden die Freien Berufe aber nicht wollen.

Frau Prof. Dr. Niebler bekräftigte dies: Sie tue sich schwer, die Gemeinwohlorientierung, die Leitmotto der Freien Berufe ist, mit einem Kapitalgeber in Einklang zu bringen, dessen Hauptinteresse es ist, sein Kapital zu vermehren. Hauptinteresse eines Kapitalgebers sei es, sein Kapital zu vermehren und sei nicht Bereitschaft zu Notfall-, Wochenend- und Nachtdiensten. Hier dürfe man nicht drumherum reden. Auch ein Freiberufler habe Kapitalbedarf, ggf. müsse dies über eine Kreditfinanzierung hinausgehen und auch eine Kapitalbeteiligung möglich sein, aber dies müsse immer so ausgestaltet sein, dass die Gemeinwohlorientierung erhalten bleibe.
Herr Kolbe berichtete, wie sich die Situation in Österreich nach dem Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH, das Tierärzte, Ziviltechniker und Patentanwälte betraf, verändert hat: Schon zuvor sei in Österreich eine Beteiligung von Fachfremden von bis zu 49 % möglich gewesen, allerdings nur von Personen und nicht von Kapitalgesellschaften. Dies sei nach Ansicht des EuGH zu wenig gewesen. Nun sei eine Beteilung auch von Kapitalgesellschaften von bis zu 50 % zulässig. Hauptargument seitens des EuGH und der Kommission seien Studien gewesen, die durch eine Öffnung eine zusätzliche Wirtschaftsleistung in Höhe von 2,3 % prognostizierten. In den letzten zwei Jahren, in denen das Gesetz nun in Kraft sei, habe sich dies nicht bewahrheitet. Zur Auswirkung einer Öffnung könne er auch aus der Schweiz berichten: Dort habe man es in einigen Kantonen zugelassen, dass sich Elektroversorgungsunternehmen (EVUs) an Vermessungsbüros beteiligen. Nach zwei Jahren habe es einen Großteil dieser Vermessungsbüros nicht mehr gegeben, da die EVUs nur am Menschenmaterial, den Technikern interessiert waren und sich diese „einverleibt“ hatten.
Herr Schick fügte hinzu, dass beim Thema Fremdbesitzverbot die Grundsätze der Freien Berufe zur Diskussion stehen. Das Grundkonzept der Freien Berufe sei in Deutschland etwas Besonderes. So sei es für einen französischen Kollegen schwer zu verstehen, dass der Steuerberater in Deutschland unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege sei und damit zwar primär für den Mandanten da sei, aber daneben auch eine gewisse Verantwortung für das Gemeinwohl, den Staat und die Steuerrechtspflege habe und damit eine gewisse Partnerschaft mit den Finanzämtern gegeben sei. Er persönlich sehe den Binnenmarkt bereits heute als Erfolgsmodell und er verstehe, dass die Kommission daran weiterarbeite, aber vielleicht müsse man gewisse Dinge auch belassen.
Herr Ehrenstein wendete ein, dass die Freien Berufe natürlich die Verantwortung gegenüber ihrem Mandanten und dem Gemeinwohl haben, daneben aber auch ihr eigenes Interesse, das ja auch richtig und nachvollziehbar sei. Die Argumentation, dass das Gemeinwohl nur sichergestellt werden könne, wenn es ein Fremdkapitalverbot gibt, sei jedoch verfehlt. Auch der Arzt oder Steuerberater in Ländern ohne Fremdbesitzverbot sei interessiert und orientiert am Interesse seines Patienten oder Mandanten. Auch die Apotheken in Schweden, die zu großen Ketten gehören, hätten in der Coronakrise die Notfallversorgung bewältigt und hätten den Dienst an der Bevölkerung geleistet. Er verstehe die Argumentation, aber er sehe es nicht so schwarz-weiß.
Herr Klotzki stellte fest, dass der Grund bzw. die Anfälligkeit für die Zugänge von Kapitalgebern vielfach an eigenen Herausforderungen und Problemen der Freien Berufe wie etwa der fehlenden Bereitschaft zur Selbstständigkeit und dem Nachfolgeproblem liegen. Auch werde der Kapitalbedarf größer, etwa wenn in KI investiert werden müsse. Dies könne ein größeres Unternehmen besser leisten als kleinteilig organisierte Strukturen.

Herr Klotzki stellte die Frage, ob es für die Freien Berufe Alternativen gibt bevor sie sich in die Hände von große Investoren begeben.

Frau Prof. Dr. Niebler stellte klar, dass es immer Alternativen gebe, wie beispielsweise die Alternative der Kreditfinanzierung. Sie kenne keine Fälle, in denen ein Freiberuflerbüro mit Mandantenstamm Probleme gehabt hätte, sich eine Kreditfinanzierung zu sichern. Es gäbe auch die Möglichkeit, sich Partner ins Büro zu holen. Hier habe sich durch eine gewisse Öffnung in der deutschen Gesetzgebung etwas getan. Sie äußerte nochmal ihre große Sorge, dass bei Aufhebung oder Lockerung des Fremdbesitzverbotes die Versorgung in der Fläche leidet. Dies wolle weder das Europäische Parlament noch die Kommission. Deshalb müsse man mit großer Sorgfalt herangehen. Die zweifelsohne vorhandenen Probleme wie der Fachkräftemangel löse man nicht durch Aufhebung des Fremdbesitzverbotes. Man müsse über die richtigen Instrumente nachdenken (eventuell über eine Öffnung des numerus clausus in verschiedenen Fächern). Niemand könne ihr weis machen, dass die Gemeinwohlorientierung von Kapitalgesellschaften die Gleiche sei.

Herr Klotzki sprach an, dass die Freien Berufe mit dem Green Deal, mit der aktuellen Bundesregierung und deren Zielen nach Nachhaltigkeit und Klimaneutralität in die Rolle der Transformationsexperten gekommen sind. Diese Aufgabe sei seiner Wahrnehmung nach bei Kapitalgesellschaften nicht genauso gut angesiedelt.
Er richtete die Frage an Herrn Ehrenstein, ob es auch seiner Wahrnehmung entspricht, dass die Freien Berufe gerade in ihrer kleinteiligen Struktur für die Transformationsaufgaben zuständig sind.

Herr Ehrenstein berichtete, dass es nach Wahrnehmung der Kommission zu wenig Menschen gebe, die die Ausbildung, die Kenntnisse und die Bereitschaft haben, in diesen Bereichen aktiv zu sein. Dies sei aber ein Problem in allen Mitgliedsstaaten. In allen Mitgliedsstaaten werden aber solche Aufgaben auch von Freiberuflern oder auch nicht von Freiberuflern erfüllt. Hier gebe es unterschiedliche Modelle, was historisch unterschiedlich gewachsen sei und damit vollkommen in Ordnung. Deshalb werde die Kommission auch nicht versuchen, das Berufsrecht der Freien Berufe zu harmonisieren. Diese historisch gewachsenen Unterschiede gelte es zu respektieren. Dies würde sich in Regulierungen wiederfinden. Bedingung sei nur, dass diese Regulierungen im Rahmen des Europäischen Rechts stattfinden.

Herr Klotzki eröffnete abschließend eine kurze Fragerunde

Herr Dr. Beck, 1. VFB-Vizepräsident und Vorstandsmitglied der Bayerischen Ärztekammer erklärte, dass sich die Freien Berufe auch insbesondere wegen ihrer fachlichen Unabhängigkeit Freie Berufe nennen. Diese sei entscheidend. Freie Berufe würden sich gerne dem Wettbewerb um Qualität stellen, auch gerne europa- und weltweit. Der wirtschaftliche Erfolg kollidiere aber häufig mit der fachlichen Unabhängigkeit. Dies sei eine Tatsache, die im medizinischen Bereich auch bei öffentlich-rechtlichen Trägern zu erleben sei, aber weitaus stärker ausgeprägt im marktwirtschaftlichen Bereich, beispielsweise bei MVZ-Ketten im augenärztlichen Bereich. Die fachliche Unabhängigkeit sei durch die Berufsordnung gewährleistet, aber es gebe eben eine gewisse Asymmetrie gegenüber einem großen Kapitalgeber. Er habe die Bitte, dass die Kommission neben dem Blick auf den Wettbewerb den Gedanken an die Bewahrung der fachlichen Unabhängigkeit im Auge behält.
Herr Ehrenstein kritisierte, dass fachliche Qualität und großer wirtschaftlicher Erfolg sich ausschließend gegenübergesetzt werden. Dies sehe er persönlich nicht so. Ansonsten seien die Punkte, die zum Fremdkapitalverbot in verschiedenen Facetten vorgebracht wurden, insbesondere zur fachlichen Unabhängigkeit, der Kommission selbstverständlich bekannt. Man harre der Entscheidung des EuGH.
Herr Dr. Kempter, VFB-Ehrenpräsident, stellte die Frage, wie es sichergestellt werden könne, dass ein berufsfremder Dritter sich an Berufspflichten, wie z.B. die Verschwiegenheitspflicht der Freien Berufe halte und appellierte daran, an die Konsequenzen einer Aufgabe des Fremdbesitzverbotes bei Rechtsanwälten und Steuerberatern zu denken. Zwar könnten die Berufspflichten in Satzung oder Gesellschaftsvertrag geregelt werden, aber beides sei privatrechtlich abänderbar. Die Berufspflichten der freien Berufe, wie die Verschwiegenheitspflicht, das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und viele andere mehr, seien dagegen im Gesetz geregelt und damit vom Staat mit Sanktionen bewehrt. „Die core values der Freien Berufe dürften aber niemals zur privatrechtlichen Disposition gestellt werden“, so Dr. Kempter, „denn privatrechtlich gäbe es keine dem Gesetz gleichwertige Sanktionen bei Berufsrechtsverletzungen“ Sein Petitum sei es, an die Konsequenzen einer Aufweichung des Fremdkapitalverbots zu denken.
Frau Susanne Metzler, Landesvertretung NRW in Brüssel, erklärte, dass es in den Jahren 2007, 2008 diese Diskussion in Australien und UK gegeben habe und es dort nun bei den Rechtsanwälten und Steuerberatern Aktiengesellschaften gebe. Sie stellte die Frage, ob diese Rechtsanwälte und Steuerberater die schlechteren Berater seien, nur weil sie ihre Berufspflichten lediglich in der Satzung geregelt haben.
Herr Schick antwortete, dass diese nicht unbedingt die schlechteren Berater seien, sie hätten eben einen privaten Finanzinvestor hinter sich, der Druck mache. Außerdem könne mit einer Aktiengesellschaft Verschiedenes geschehen, etwa eine Weiterveräußerung.
Herr Dr. Kempter antwortete, dass die Organisationsform der GmbH oder AG nicht das Entscheidende sei, diese Organisationsform gebe es für Rechtsanwälte schon lange. Die Beteiligung eines Nicht-Berufsträgers, der nicht unbedingt Rechtsanwalt sein müsse, sondern möglicherweise Arzt, Psychotherapeut oder Apotheker sei, sei möglich. Diese unterlägen aber alle einem gesetzlich geschützten Berufsrecht. Entscheidend sei vielmehr die Beteiligung des Fremdkapitals. Das Ergebnis der Aufgabe des Fremdbesitzverbotes in England sei beispielsweise gewesen, dass in Mietrechtsstreitigkeiten Mieter keinen Anwalt mehr gefunden hätten, weil kein Anwalt sie vertreten wollte. Die Anwaltschaft sei aus diesem Berufsfeld komplett ausgeschieden.
Herr Ehrenstein erklärte, das Schöne an Europa sei es, dass man über den Tellerrand hinausschaue, wie die Situation in anderen Ländern sei. Dies mache die Kommission selbstverständlich auch. Er stelle aber in Frage, dass es wirklich so ist, dass Rechtsanwälte dieser Länder ohne Fremdkapitalverbot nicht in der Lage seien, fachlich unabhängig im Interesse des Mandanten zu arbeiten.
Herr Lyssoudis erklärte, dass er die Frage von Herrn Ehrenstein, ob ein Ingenieur schlechter sei, wenn er auf Fremdinteressen Rücksicht nehmen muss, eindeutig mit Ja beantworten könne. So gebe es die eine Firma, die Bewehrungsformen industriell herstelle. Wenn diese Firma Besitz an einem Ingenieurbüro habe, das Tragwerksplanung mache, und entscheide, das nur diese Firma für die Bewehrung von Brücken eingesetzt wird, dann fehle den Berufsträgern die Entscheidungsfreiheit diese Firma nicht zu nehmen. Er persönlich würde es vermeiden wollen über eine Brücke zu fahren, die eine von Kapitalinteressen getriebene Bewehrung habe.
Frau Prof. Dr. Niebler erklärte abschließend, dass sie es als eine gute Nachricht von Seiten der Kommission mitnimmt, dass eine Harmonisierung des Berufsrechtes auf EU-Ebene nicht vorgesehen ist.
Herr Ehrenstein erklärte in seinem Schlusswort, dass die Mitgliedsstaaten die Kompetenz haben, ihr Berufsrecht zu regeln, dies aber im Rahmen des geltenden EU-Rechts geschehen muss und damit unter Einhaltung der Verhältnismäßigkeit.

Bei einem Walking Dinner wurden die Gespräche noch bis in den Abend hinein fortgesetzt.


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