Gespräch mit Christine Singer, Freie Wähler Fraktion

Christine Singer, EU Abgeordnete Freie Wähler und Julia Massman, VFB

Warum wollten Sie als EU Abgeordnete nach Brüssel gehen? Sie kommen aus Garmisch, haben dort einen großen Milchviehbetrieb, das ist ja doch ein großer Schritt.

Ich bin da reingewachsen. Nach meiner Hochzeit und der Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs habe ich mich im Bauernverband engagiert und wurde dann über das Amt der Kreisbäuerin die Bezirksbäuerin und dann zur Landesbäuerin gewählt. Außerdem war ich auch Gemeinderätin und bin nach wie vor Mitglied im Kreistag, wo ich mich seitdem für die Freien Wähler engagiere.

Sich hinstellen für etwas was einem wichtig ist, das habe ich schon früh gelernt und das war und ist mir wichtig. Und die Themen im ländlichen Raum sind so vielfältig, egal ob im Bauernverband oder in der Kommunalpolitik.

Als die Anfrage der Freien Wähler zur Kandidatur ins Europaparlament kam, habe ich länger überlegt ob ich das wirklich machen will. Gleichzeitig wollte ich auch immer mitgestalten, die Rahmenbedingungen dafür festlegen, das neue Gesetze und Verordnungen praxistauglich umsetzbar sind. Und da meine Familie auch hinter mir steht, habe ich dann zugesagt.

Mit Listenplatz 1 auf bayerischer und auf Bundesebene hatte ich gute Aussichten, und dann wurde ich gewählt. Nun habe ich eine Wohnung in Brüssel, und bin dabei, mich mit Hilfe meines Teams einzuarbeiten und alles kennen zu lernen. Es fühlt sich alles gut an und ich freue mich darauf, jetzt loszulegen.

Wo sehen Sie die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in Brüssel?

Mein Hauptanliegen ist die Mitarbeit im Agrar- und im Umweltausschuss. Für viele Probleme, die wir täglich haben, liegt die Ursache in der Europäischen Gesetzgebung. Es ist wichtig, dass in der Entscheidungsebene Leute sitzen, die aus der Praxis kommen, die die Auswirkungen wirklich nachvollziehen können, egal ob aus der Landwirtschaft oder aus dem Mittelstand. Die Grundidee der EU ist meist richtig, aber die Umsetzung ist dann so umständlich und arbeitsintensiv, dass mittlerweile viele Betriebe sagen, dass sie die Bürokratiebelastung nicht mehr stemmen können. Das ist ja auch bei den Freien Berufen ein großes Thema und hält viele Menschen davon ab, sich als Arzt, Zahnärztin oder Apotheker selbständig zu machen. Wir müssen die Menschen, die sich selbständig machen und Verantwortung übernehmen möchten, fördern, und nicht behindern oder abschrecken. Wir brauchen die Versorgung in der Fläche, besonders im ländlichen Raum.

Außerdem müssen Gesetze auch so verfasst werden, dass sie in die jeweilige Region passen, das ist nicht immer gleich in Europa. Wichtig ist, dass die Politiker die Menschen, die mit den Gesetzen leben müssen, mitnehmen.

Das betrifft ja vielfach auch die Freien Berufe, die durch große Strukturen in Bedrängnis geraten. Bei den Ärzten sind es die iMVZs, bei den Architekten die Generalunternehmer. Die kleinteiligen Strukturen der Freien Berufe machen das Leben auf dem Land erst lebenswert und möglich.

Ich kenne diese Problem von den Tierärzten und Zahnärzten etc., dann haben die Firmen oft keine „Mitarbeiter“ mehr, sondern „Human Ressources“ zu denen die persönliche Bindung fehlt. Die Unternehmer/innen der Freien Berufe haben eigenes hohes Interesse, gut Arbeit vor zu leisten. Dieses Interesse sinkt bei Generalunternehmern oder MVZs zugunsten einer Gewinnmaximierung. Die Daseinsfürsorge ist den Freien Wählern ein wichtiges Anliegen, von der Wasserversorgung über die medizinische Versorgung in jedem Teil unseres Landes.

Was den Wettbewerb in der EU betrifft müssen wir aufpassen, dass wir die KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) nicht mit so viel Bürokratie belasten, dass z.B. ein kleiner Architekturbetrieb die Anforderungen nicht mehr erfüllen kann und so an keiner Ausschreibung mehr teilnehmen kann. Dann verlieren wir den für uns so wichtigen Mittelstand.

Bei den Freien Berufen ist auch die persönliche Bindung und Beratung wichtig, das kann ein MVZ oder eine online-Apotheke nicht leisten.

Dazu gehört auch, dass jeder für sich Verantwortung übernimmt, das ist im Moment in unserer Gesellschaft nicht mehr aktuell, wir Menschen werden bequem. Das funktioniert aber nicht auf Dauer. Politik kann die richtigen Weichen stellen, aber zum Gelingen braucht es jeden Einzelnen, egal ob es die Klimaziele sind, das Tierwohl oder die Mobilitätswende. Zum Leben in einer Demokratie gehört gegenseitiger Respekt und Selbstverantwortung, und auch mal Dinge zu akzeptieren, die mir persönlich jetzt gerade nicht gefallen, die auf Dauer aber gut für uns alle sind.

Für viele Menschen sind die wichtigen Themen in Deutschland gerade der Krieg in der Ukraine, Migration und innenpolitische Sicherheit. Da haben die Freien Wähler und die anderen Parteien der Mitte eine wichtige Aufgabe, Gesetze zu machen, die die Menschrechte achten aber auch klare Grenzen aufzeigen.

Ideologisch politisches Wunschdenken funktioniert nicht, es muss klar zu Ende gedacht werden. Wenn wir eine Mobilitätswende wollen, dann müssen wir bereit sein, auf etwas zu verzichten. Maximales Tierwohl, maximaler Umweltschutz und billigste Preise bei Lebensmitten passen auch nicht zusammen, darüber muss der Verbraucher sich klar sein.

Wir haben in Deutschland in vielen Bereichen sehr hohe Standards, die wollen wir ja auch nicht verlieren, da müssen wir aufpassen. Die neue Entwaldungsrichtlinie z.B. muss in Deutschland gar nicht umgesetzt werden, weil unser Waldgesetz schon dafür sorgt, dass wir nicht zu viel roden. Auf diese Bürokratie können wir in dem Fall verzichten, aber die EU zwingt uns dazu.

Außerdem ist Deutschland auch immer sehr buchstabengetreu in der Umsetzung der EU Richtlinien, das machen andere Länder etwas entspannter.

Thema Fachkräftemangel. Was kann die EU tun um mehr Fachkräfte ins Arbeitsleben zu integrieren bzw. zu halten?

Wir müssen die Menschen, die schon hier bei uns sind, schneller in den Arbeitsprozess integrieren. Arbeit sozialisiert die Menschen bei uns, das trägt zu einer besseren Integration bei. Wir müssen Abschlüsse schneller überprüfen und Sprachkenntnisse schneller vermitteln. Wir haben genug eingewanderte Menschen hier, die arbeiten wollen, das müssen wir mehr unterstützen. Die Anerkennungsverfahren ausländischer Abschlüsse müssen vereinfacht werden, auch da kann die EU unterstützen.

Bei uns werden zu viele Dinge zu sehr abgesichert. Auch beim Thema Renteneintrittsalter sind wir nicht flexibel genug, auch da könnten wir uns an anderen europäischen Ländern orientieren. Und an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen. Viele kleinere Betriebe könnten das flexibel für sich gestalten, wenn die Politik es zuließe.

Wenn wir etwas verändern wollen geht es nur gemeinsam, Politik kann die Regeln und Gesetze vorgeben, aber die Menschen im Land müssen mitmachen. Also müssen die Regeln und Gesetze die Menschen ansprechen. Und die Politik sollte mehr Verantwortung an die Menschen zurückgeben, die sie gerne übernehmen möchten.

Vielen Dank, Frau Singer, für das interessante und lebendige Gespräch.
Das Gespräch führte Julia Massmann, Geschäftsführerin des VFB

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