Interview mit Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer

Sie üben seit dem Jahr 2021 das Amt der Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer aus. Welches Resümee können Sie bis dato aus Ihrer Amtszeit ziehen und was sehen Sie als Ihren größten Erfolg?

Nicht nur ich bin 2021 ins Amt gewählt worden, sondern auch der Vorstand, der mit mir die Ziele für die bis 2026 dauernde Legislaturperiode formuliert und beschlossen hat. Besonders stolz können wir sicher darauf sein, dass es uns gelungen ist, unsere Haltung und unseren Anspruch, den wir als KlimaKulturKompetenz bezeichnen, in der Kollegenschaft und darüber hinaus zu verankern. So zeichnen etwa die vor drei Jahren neu eingeführten KlimaKulturKompetenz-Prädikate bei den Architektouren, dem jeweils letzten Juni-Wochenende eines Jahres, an dem Planende gemeinsam mit ihrer Bauherrschaft durch ausgewählte Bauten in Bayern führen, Projekte aus, die hinsichtlich Energieeffizienz, Klimaanpassung, Flächensparen, Barrierefreiheit sowie weiterer Aspekte der Nachhaltigkeit beispielhaft sind. Dass das bayerische Bauministerium 19 Pilotprojekte beauftragt hat, die nun – wissenschaftlich begleitet – unter Beweis stellen können, dass Vereinfachung und Innovation beim Bauen möglich sind, ohne auf Qualität zu verzichten, ist ein Erfolg, auf den wir intensiv hingearbeitet haben.

Was möchten Sie in dieser Amtsperiode noch unbedingt durchsetzen?

So sehr ich mich über die Entwicklung des Gebäudetyp-e auch freue: Erst wenn auch die vertragsrechtliche Grundlage geschaffen ist, kann ich zufrieden sein. Konkret heißt das: Wir brauchen auch eine Anpassung des BGB, damit entsprechende Vereinbarungen rechtssicher getroffen werden können, also eine Änderung des Werkvertragsrechts durch den Deutschen Bundestag. Nur dann nämlich können Planerinnen und Planer, Bauherren und Kommunen auch sicher sein, einfach und experimentell – dafür steht ja das „e“ – planen und bauen zu können, ohne Gefahr zu laufen, gegebenenfalls wegen eines angeblichen Mangels in die Haftung genommen zu werden.

Wie würden Sie die Lage der freischaffend tätigen Architektinnen und Architekten insgesamt sehen? Was hat sich hier in den letzten Jahren verändert?

Die Situation ist tatsächlich zunehmend herausfordernd – und damit sind nicht einmal die weltpolitischen Krisen gemeint. Die Lage der Baukonjunktur ist und bleibt wohl schwierig, auch in Bayern, die öffentlichen Kassen sind leer, Bau- und Personalkosten sind hoch. Wir wünschen uns eine spürbare Vereinfachung von Bauvorschriften, den Abbau von Bauregularien, mehr Verlässlichkeit bei Förderungen und deutlich weniger Bürokratie. So könnte etwa die Anhebung der Schwellenwerte bei der Ausschreibung öffentlicher Bauprojekte den Vergabeprozess für kleinere und mittlere Projekte erleichtern. Gleichzeitig verändert die Digitalisierung mit Themen wie Künstlicher Intelligenz unser Berufsbild tiefgreifend. All das verlangt enorme Anpassungsfähigkeit – doch wir sind Architekten: Kreativität ist unser Handwerk.

Welches ist Ihrer Meinung nach aktuell die größte Herausforderung für Architektinnen und Architekten, und wie unterstützt die Kammer ihre Mitglieder dabei?

Ganz oben auf unserer Agenda stehen tatsächlich die Digitalisierung und das Planen und Bauen mit Gebäudetyp-e. In beiden Bereichen unterstützt die Bayerische Architektenkammer ihre Mitglieder durch Fortbildungsangebote und Vernetzung. Unser Ziel ist es, die Chancen der Digitalisierung konstruktiv zu nutzen und gleichzeitig die unverzichtbare gestalterische Leistung unseres Berufs zu stärken. Deshalb engagieren wir uns beispielsweise aktiv im branchenverbindenden BIM-Cluster Bayern und fördern über Formate wie unseren BIM-Salon und die Mitarbeit in bundesweiten Initiativen Orientierung, Wissenstransfer und den offenen Dialog – unter der Prämisse, dass Digitalisierung und KI kein Selbstzweck sind, sie müssen Baukultur, Ressourceneffizienz und Gemeinwohl dienen. Datenhoheit, Datenschutz und Urheberrecht sind dabei natürlich essenzielle Themen, an denen alle Kammern arbeiten – unter anderem mit dem Ziel der Gründung einer Datentreuhandgesellschaft von und für Architekten, vergleichbar etwa mit der DATEV. Und unsere Seminare zum Gebäudetyp-e oder auch der Fachtag „Einfach Bauen? Ohne Normen!“, den wir gemeinsam mit der Rechtsanwaltskammer München und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau am 17.11.2025 anbieten, zeigen Potenziale wie Grenzen und ermutigen unsere Mitglieder, neue Wege in der Planung zu gehen. Aber natürlich nehmen wir auch die praxisnahe Beratung unserer Mitglieder ebenso wie der Öffentlichkeit sehr ernst, mit unseren beiden Beratungsstellen BEN Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie Barrierefreiheit.

Als Professorin für Baukonstruktion und Entwerfen an der Hochschule Konstanz sind Sie dem beruflichen Nachwuchs sehr nahe. Hat sich an der Situation junger Architektinnen und Architekten seit Ihrem eigenen Berufsstart etwas verändert?

Die Bedingungen an Universitäten und Hochschulen – vom Curriculum bis zum Betreuungsschlüssel und nicht zuletzt auch den baulichen Gegebenheiten – würden ein eigenes Gespräch verdienen, denn hier ist aus meiner Sicht an keiner Stelle etwas besser geworden. Als Kammerpräsidentin freue ich mich vor allem, dass wir 2024 bei uns die Juniormitgliedschaft eingeführt haben und damit die Lücke zwischen Studium und Mitgliedschaft geschlossen wurde. So nutzen Juniormitglieder sämtliche Angebote der Akademie für Fort- und Weiterbildung zu Mitgliedskonditionen, profitieren vom Mentorenprogramm, verschaffen ihren Perspektiven in Strategie- und Arbeitsgruppen Gehör und können Mitglied der Bayerischen Architektenversorgung werden.

Welche Bedeutung kommt dem VFB Ihrer Ansicht nach zu?

Der Verband Freier Berufe leistet wichtige Arbeit, indem er die Interessen der ja durchaus heterogenen Freien Berufe bündelt und sie gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit sicht- und hörbar macht. Für mich entscheidend ist jedoch vor allem das vehemente Eintreten des VfB für unser gemeinsames Selbstverständnis als unabhängige und selbstverwaltete Berufsgruppen, die auch ethische Verantwortung übernehmen und somit wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen – gerade in diesen Zeiten ist das unerlässlich!

Ihr besonderes Interesse gilt der qualitativen und nachhaltigen Stadtentwicklung. Hat die Kammer in der Stadt München bei diesem Thema Mitsprachmöglichkeiten und Einfluss?

Wir pflegen gute und vertrauensvolle Kontakte zur Stadtspitze und geben uns gegenseitig Raum für unsere jeweilige Sichtweise und Expertise zur qualitätvollen Weiterentwicklung der Stadt. Über unsere Vertreterinnen und Vertreter in der Stadtgestaltungskommission nehmen wir fachlich fundiert Stellung und setzen Impulse. Wir melden uns zu Wort zu aktuellen Fragen der Stadtentwicklung, wie etwa zum Umgang mit dem Münchner Strafjustizzentrum oder zu Münchens Olympia-Bewerbung. Und natürlich sind Mitglieder der Bayerischen Architektenkammer bei Quartiersentwicklungen, wie etwa dem Prinz-Eugen-Park oder Freiham, konkret und entscheidend beteiligt, sei es als Projektverantwortliche oder als Sach- und Fachpreisrichter bei Wettbewerbsverfahren.

Die Stadt München bewirbt sich mit Unterstützung des Freistaats Bayern für die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2036. Wie steht Ihre Kammer dazu?

Wir sagen OlympiJa – aber unter einer Bedingung: Der Fokus muss auf nachhaltiger Stadtentwicklung liegen. Das heißt: Es müsste – wie 1972 – qualitätvoller Wohnraum entstehen, der sozialgerecht nachgenutzt werden kann, der öffentliche Nahverkehr muss gestärkt werden und unsere wunderbaren, identitätsstiftenden Olympiabauten müssen bestmöglich genutzt werden.
Und damit bin ich bei einem Thema, das mich auch seit Beginn meiner Amtszeit intensiv beschäftigt: dem Bauen im Bestand. Mit dem gleichnamigen Preis, den wir im September verliehen haben und dem vom Wissenschaftsministerium vergebenen Staatspreis Bauen im Bestand 2025 hat sich wirklich eindrucksvoll gezeigt, dass im intelligenten, kreativen und nachhaltigen Um- und Weiterbauen die Zukunft liegt.

Bild: Tobias Hase

 


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