Interview mit Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90 / Die GRÜNEN

1. Sehen Sie, angesichts der großen allgemeinen Probleme und Themen wie Finanzierungs- und Haushaltsfragen, der kritischen außenpolitischen Situation, die Gefahr, dass die Themen der Freien Berufe (wie z.B. die Aktualisierung der Gebührenordnungen der Heilberufe, der Erhalt des Fremdkapitalverbots, die Stärkung des Selbstverwaltungssystems) in Vergessenheit geraten? Was kann man aus Ihrer Sicht dagegen tun?
K.S.
Auf den ersten Blick sind die Freien Berufe in der öffentlichen Debatte nicht die lauteste Stimme. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Mitglieder der Freien Berufe einfach einen guten Job machen, ohne groß darüber zu reden. Sie arbeiten und sorgen für die Gesellschaft – und das jeden einzelnen Tag. Sie haben gar keine Zeit, sich vor Kameras zu stellen und zu jammern. Als Politikerin bin ich dafür verantwortlich, auch den vermeintlich leiseren Stimmen Gehör zu verschaffen, die für den Wirtschaftsstandort Bayern ebenso wichtig sind. Wir brauchen alle zusammen, Freiberufler, Konzerne, Mittelstand, Familienbetriebe und Start-ups, um unseren Wirtschaftsstandort zu bewahren und zu verbessern. Den Einen gegen den Anderen auszuspielen bringt uns nicht weiter.
Darum sind wir von den GRÜNEN auch ständig draußen unterwegs, in den Betrieben, um zu sehen, was passiert dort, wie läuft es dort? Parlamentarische Arbeit ist das Eine, aber die Erfahrung vor Ort hat eine ganz andere, zusätzliche Qualität.
Ich selber habe einen Tag in einer Physiotherapie-Praxis verbracht um zu zu sehen, wie funktioniert so eine Praxis. Demnächst werde ich hinter die Kulissen einer Apotheke schauen, ich bin schon sehr gespannt darauf. Und von einer Zahnärztin kam auch das Angebot, mal einen Tag „mitzulaufen“. Und natürlich sind wir im ständigen Austausch mit Ihrem Verband.
2. Die Freien Berufe sichern mit ihrer kleinteiligen Struktur die Daseinsvorsorge vor Ort. Der Arzt, der Apotheker, der Rechtsanwalt, der Architekt vor Ort, sind für die Bevölkerung auf dem Land essentiell, beleben das Dorfbild und sind für die Attraktivität des ländlichen Raums entscheidend. Zunehmend werden jedoch freiberufliche Aufgaben der Daseinsvorsorge durch gewerbliche Anbieter übernommen, wie steht Ihre Partei dazu?Stichwort: Bedrohung der freiberuflichen Organisationsstruktur der ambulanten Versorgung durch iMVZ und gewerbliche Anbieter telemedizinischer Versorgung:
Werden die Grünen die von Herrn Lauterbach bereits seit 2022 versprochenen, möglichen Beschränkungen der investorenfinanzierten MVZ´s umsetzen?
K.S.
Als GRÜNE sehen wir die zunehmde Übernahme durch gewerbliche Anbieter kritisch. Wir unterstützen daher die Forderung der Freien Berufe, dass wirtschaftliche Interessen nicht vor Patienten- oder Mandanteninteressen kommen. Da muss die Politik kritisch hinschauen. Allerdings ist das ein Bundesthema, welches von den Landesregierungen immer wieder in Berlin angesprochen werden muss.
Wir setzen uns für den Erhalt und die Stärkung der Freien Berufe ein – durch fairere Rahmenbedingungen, die Förderung von Niederlassungen im ländlichen Raum und den Schutz vor übermäßiger Kommerzialisierung der Daseinsvorsorge.
Auch Transparenzregister könnten den Patienten helfen.
3. KiTa-Platz-Mangel: Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird für Eltern zum Albtraum.
Die fehlenden Kinderbetreuungsplätze betreffen alle Arbeitnehmer, egal ob Angestellte oder Freie Berufe. Was kann und will Ihre Partei dafür tun, dass dies in Bayern endlich verbessert wird? Schlechte Arbeitsbedingungen und unzureichende Wertschätzung treiben Erzieher aus dem Beruf. Der Erzieherberuf bleibt aber trotz hoher Verantwortung unterbezahlt. Wird Ihre Partei hieran etwas ändern?
K.S.
In den Freien Berufen, aber nicht nur dort, haben wir viele top qualifizierte Eltern, insbesondere Frauen. Diese Frauen möchten gerne ihre Kompetenz und ihr Wissen einbringen. Da die Altersarmut auch weiterhin vor allem weiblich ist, sage ich auch jeder Frau immer wieder, es ist wichtig arbeiten zu gehen, um im Alter nicht von Armut bedroht zu sein. Das Problem: Ganz oft können gerade Frauen gar nicht so viel arbeiten wie sie möchten, weil es an ausreichender qualitativer Betreeung für ihre Kinder mangelt. Es ist also Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass wir ausreichend KiTa-Plätze haben und dass das Recht auf Ganztag in den Schulen konsequent umgesetzt wir. Es ist also auch volkswirtschaftlich Unsinn, wenn wir als politisch Verantwortliche die Kinderbetreeung nicht zur Prioriät machen. Das gilt auch für den Ausbau von Pflegeplätzen. Auch dort übernehnen Frauen größtenteils auch die Sorge-Arbeit. In den Freien Berufen sind ja gerade in den Heilberufen überproportional viele Frauen beschäftigt, die eine unglaubliche Kompetenz dort haben. Zum Beispiel Gesellschaft braucht diese Frauen, um zu funktionieren. Deswegen müssen die Rahmenbedingen geschaffen werden, dass diese Frauen so viel arbeiten können, wie sie wollen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss für beide Geschlechter besser möglich sein!
Aber zu mehr Kitaplätzen gehören auch die Erzieherinnen und Erzieher, die Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger, die teilweise kein Geld während der Ausbildung bekommen, und nach der Ausbildung immer noch schlecht bezahlt werden. Das wollen wir ändern. Außerdem braucht es mehr Unterstützungskräfte in den KiTas, z.B. in der Hauswirtschaft, damit die pädagogisch ausgebildeten Kräfte sich auf ihre eigentlichen Aufgaben, die Kinder zu betreuen und bilden, konzentrieren können. Das würde den Beruf eindeutig attraktiver machen! Wichtig dabei: KiTas sind nicht nur Betreuungs-, sondern auch Bildungsorte und als solche müssen sie von der Politik auch behandelt werden.
Und deswegen ist Sozial- und Bildungspolitik für mich als Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN sehr wichtig, denn ohne ausreichende Angebote verlieren wir top ausgebildete Frauen für den Arbeitsmarkt. Die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ist ein elementarer Bestandteil von Wirtschaftspolitik.
Ab 1. August 2026 wird stufenweise bundesweit ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter eingeführt, zunächst für die Erstklässler im Schuljahr 2026/27. Wie soll dies trotz Lehrermangels funktionieren und was halten Sie davon, die Freien Berufe hier mehr einzubeziehen (z.B. Künstler lehren kreatives Gestalten).
K.S.
Dieses Angebot werden wahrscheinlich mehr Eltern annehmen als wir heute glauben, denn gerade in Großstädten müssen oft beide Elternteile arbeiten, um das Leben finanzieren zu können. Bei den KiTas hat auch jeder am Anfang gesagt, dass wir nicht so viele Plätze brauchen und jetzt haben wir einen Mangel an Kita-Plätzen.
Wenn die Freien Berufe die Nachmittagsbetreuung mitgestalten wollen, was ich gut fände, brauchen wir klare gestzliche Regelungen, z.B. wegen der Haftungsfrage. Und die finanzielle Seite muss auch geklärt sein, denn wir können nicht erwarten, dass die Menschen ihre Zeit und ihr Wissen dort umsonst einbringen. Leider hat die bayerische Regierung es in den vergangenen Jahren verabsäumt, klare Regelungen zu schaffen. Deswegen herrscht heute bei allen Beteiligten eine große Verunsicherung, die schnellstens beendet werden muss, denn der 1. August 2026 kommt schnell. Als GRÜNE haben wir im bayerischen Landtag schon mehrere Initiativen gestartet, um diese Rechtsgrundlagen auf den Weg zu bringen. Leider rührt sich die Staatsregierung wenig bei dem Thema.
Ich glaube auch, dass es wichtig ist, den Beteiligten vor Ort, der Schule, den Menschen und den Vereinen, die da mitmachen wollen, möglichst viele Freiheiten zu lassen, wie sie diese Ganztagsbetreuung gestalten wollen. Es ist sowieso wichtig, dass mehr Praxis in die Schulen kommt, um die Kinder auf das Leben besser vorzubereiten.
Bildungspolitik, angefangen bei den ganz Kleinen bis zum Schulabschluss, ist entscheidend für unsere Gesellschaft. Wir sind eine Wissensgesellschaft, da unser Land über keine großen Rohstoffvorkommen verfügt. Deswegen ist eine gute Bildungspolitik der Grundstock für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik und damit wichtig für unseren Wirtschaftsstandort.
4. Von jungen Freiberuflern wird das Angestelltenverhältnis immer mehr der Selbstständigkeit vorgezogen. Dies liegt auch an der systematischen Schlechterstellung von schwangeren Selbstständigen. Der gesetzlich gewährleistete Mutterschutz gilt nur für Mütter, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden. Die gemeinschaftliche, solidarische Finanzierung der Mutterschutzleistungen gilt aber nicht für Selbständige. Die Mutterschaftsleistungen von schwangeren Angestellten werden zum größten Teil über die Umlage (U2) finanziert, in die alle Arbeitgeber*innen auf der Grundlage der Lohnsumme ihrer Angestellten – egal welchen Geschlechts – einzahlen. Für selbstständig tätige Schwangere gibt es ein solches Instrument nicht, mit dem, wie bei Angestellten, alle Geschlechter gleichermaßen für die Kosten des Mutterschutzes aufkommen. In Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetztes steht „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“
Wird Ihre Partei an dieser Situation etwas ändern bzw. welche Vorschläge gibt es bereits?
K.S.
Das Thema „Selbständige und Mutterschutz“ war gerade ein wichtiges Thema auf unserer letzten Fraktionsklausur. Wir sagen immer, wir wollen mehr Kinder in unserem Land, dann müssen wir aber auch dafür sorgen, dass Familien mehr unterstützt werden, auch wenn die Mutter nicht angestellt arbeitet.
Auch selbständig arbeitende Mütter brauchen diesen Schutz und die Sicherheit bei einer Familiengründung. Wir brauchen eine Art „Mutterschaftsgeld“, was selbständig arbeitende Frauen eine Zeitlang absichert. Es ist enorm wichtig, dass die nächste Bundesregierung dieses Thema anpackt.
Wenn Frauen von der Gründung abgehalten werden, aus Angst vor finanziellen Problemen während und nach der Schwangerschaft, verlieren wir wieder Leistung und Kreativität. Dabei brauchen wir als Land mehr Unternehmertum, wir müssen die Lust am Gründen, am Unternehmertum und an der Übernahme von Verantwortung wieder mehr in der Gesellschaft verankern. Die Verantwortung als Unternehmer / Unternehmerin ist massiv, aber es ist auch schön seine eigene Firma zu haben oder die eigene Kanzlei, in der ich Entscheidungen treffen kann, trotz der ganzen Herausforderungen.
Es ist wichtig, dass wir diese positiven Seiten einer Selbständigkeit wieder mehr in den Fokus rücken, und das Thema auch schon in den Schulen positiv besetzen, da ist die Bildungspolitik gefragt. In Zeiten des demografischen Wandels ist es wichtig, den Schülern schon zu zeigen, wie viel Spaß es machen kann, sein eigener Herr, seine eigene Chefin zu sein, denn sonst finden die Freien Berufe noch schwieriger Nachfolger, was gerade im ländlichen Raum ein Problem darstellt. Und so muss leider manch gut aufgebaute Praxis, Apotheke oder Kanzlei schließen, was für das Gemeinwohl nicht gut ist.
Um die Lust an der Gründung wieder zu entfachen muss die Regierung natürlich auch Hindernisse abbauen, wie z.B. die übermäßige Bürokratie.
5. Ministerpräsident Dr. Markus Söder: „Bayern verfestigt seine Osteuropa-Strategie. Zudem werden wir über das Thema Kernkraft sprechen und einen Dialog über eine mögliche Zusammenarbeit starten. Um die bayerische Stromversorgung auf Dauer besser abzusichern, wollen wir eine mögliche Nutzung von tschechischer Kernkraft für unseren Strommarkt ausloten. Im Gegenzug können wir uns Partnerschaften in der Sicherheitstechnologie sowie bei Wissenschaft und Forschung für Zukunftsfelder wie der Kernfusion vorstellen.“
Was sagt Ihre Partei dazu?
K.S.
Die Zukunft liegt in den erneuerbaren Energien, dort muss der Ausbau weiter voran getrieben werden, auch in Bayern – zum Beispiel über den Ausbau von Windrädern und Solaranlagen auf den Dächern. Da könnte der bayerische Staat mit gutem Beispiel voran gehen, denn aktuell sind nur rund 5% aller staatlichen Gebäude mit einer Solaranlage ausgestattet. Auch mehr Windräder würden uns helfen, uns unabhägiger von Öl und Gas zu machen, was ja nicht nur für den Klimaschutz gut wäre, sondern auch für die Wirtschaft, weil der Strompreis dann sinken würde.
Wir können die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mit den Techniken des 20. Jahrhunderts lösen! Die Atomkraft ist ein totes Pferd. Der starke Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren in Deutschland hat die weggefallene Strommenge der im Jahr 2023 stillgelegten Atomkraftwerke längst überkompensiert. Es ist Zeit, dass wir uns auf die Zukunft konzentrieren.
6. Social Media und Politiker, wie sinnvoll finden Sie das? Wo sind die Grenzen?
K.S.
Die sozialen Netzwerke sind da und werden bleiben. Sie sind für viele Menschen eine wichtige, manchmal die einzige, Informationsquelle. Deswegen sollten alle Poltiker*innen dort vertreten sein, damit dieses Feld nicht nur von z.B. der AfD bespielt wird, die aktuell TikTok stark beherrscht.
Leider bedeutet das aber auch, dass Menschen in den sozialen Netzwerken oft viel Hass und Hetze oder Falschinformationen in die Timeline gespült bekommen, oft auch noch von Russland querfinanziert.
Ich bin auf Social Media auch aktiv, damit die Menschen sehen, an was ich arbeite und für was ich mich einsetze. Natürlich ist Social Media auch dafür da, mich als Person ein bißchen kennen zu lernen, wie das jeder Einzelne macht, bleibt der Person überlassen.
Social Media gehört jedenfalls zum Leben in der Politik dazu, es wäre falsch, sich dem zu verschließen.